Andreas Reize dirigierte zum letzten Mal den Kammerchor Buchsgau
Die diesjährige Aufführung des Kammerchors Buchsgau war gleichzeitig das Abschiedskonzert für dessen Leiter Andreas Reize, der sich mit dem Zürcher Bachchor und dem Gabrielichor Bern neuen Herausforderungen stellt. 2004 hat Andreas Reize die Leitung des Kammerchors Buchsgau übernommen. Die von seinen Vorgängern Paul von Arb und Bruno Späti geleistete, langjährige Aufbauarbeit hinterliess ihm einen Chor mit ausgezeichneten Qualitäten, was ihm ermöglichte, mit dem Kammerchor nun konsequent den Weg historischer Aufführungspraxis zu beschreiten. Seine Aufführungen mit Werken von Bach, Haydn, Mozart, Schubert, Mendelssohn und Brahms setzten Marksteine in der Region und haben auch das breitere Publikum mit den Vorzügen dieser neu-alten Musizierweise bekannt gemacht.
Gewissermassen den Rahmen der Tätigkeit von Andreas Reize bildeten die zwei Oratorien von Felix Mendelssohn Bartholdy (1809–1847), «Elias» und, am letztes Wochenende, «Paulus». In seinen Oratorien führte Mendelssohn die Tradition der grossen Händel-Oratorien weiter, der 1836 uraufgeführte «Paulus» knüpft auch deutlich an die «Matthäus-Passion» von Bach an, welche der Komponist 1829 durch eine Wiederaufführung in Berlin der Vergessenheit entrissen hatte. Mendelssohn hat aber die beiden Grossmeister nicht kopiert, sondern deren Werke in der Tonsprache des 19. Jahrhunderts weiter entwickelt.
Das Oratorium «Paulus» beginnt mit der Anklage und Steinigung des Stephanus in Jerusalem, welcher der Jüngling und Christenverfolger Saulus mit Wohlgefallen beiwohnt. Auf dem Weg nach Damaskus vernimmt Saulus die Stimme Christi, er verliert das Augenlicht und wird später in Damaskus unter dem Namen Paulus christlich getauft. Als Missionar predigt Paulus den Juden und den Heiden das Evangelium, mit seiner Abreise von Ephesus Richtung Jerusalem endet das Oratorium.
Mit dem cantus firmus consort stand ein Orchester zur Verfügung, das sowohl dem Chor wie auch dem Kirchenraum vollkommen gerecht wurde. Die Klangbalance war vorzüglich, auch gegenüber den Gesangssolisten, die nie übertönt wurden, aber auch nicht das Orchester zur blossen Begleitung degradierten: Solisten, Chor und Orchester wirkten als geschlossenes Ensemble, in dem jeder Teil seine Funktion optimal ausfüllte. Der Klangkörper mit den historischen Instrumenten war sehr farbenreich und unterstrich die Dramatik mit rhythmischer Prägnanz und Akzentuierung. Die nicht ganz gleichstufig temperierten Holzbläser verliehen bestimmten Akkorden eine gewisse Schärfe, ein Effekt, der vom Komponisten gezielt eingesetzt worden war. Schade ist einzig, dass aus Gründen der Stimmtonhöhe auf die Mitwirkung einer grossen Orgel verzichtet werden musste, da Mendelssohn einigen Stellen mit dem Klang der vollen Orgel eine ganz spezielle Färbung geben wollte. Allerdings ist die Musik so gut gemacht, dass, wer es nicht weiss, den Orgelklang gar nicht vermisst.
Die Hauptträger der Handlung sind Paulus (Bass, Dominik Wörner), Stephanus und Barnabas (Tenor, Michael Feyfar). Die Stimme des Erzählers wird auf Sopran (Andrea Lauren Brown) und Tenor aufgeteilt. Die solistische Altstimme kommt in diesem Werk fast nur innerhalb des Solistenquartetts zum Einsatz, was insofern schade ist, als man Barbara Erni gerne noch mehr zugehört hätte. Die Sopranistin erfreute mit ihrer klaren, hellen Stimme und ihrer Ausdrucksfähigkeit in den Recitativen. Die berühmte, fast überirdisch schöne Klagearie «Jerusalem» brachte sie zu ergreifender Wirkung. Wohl den breitesten Ausdrucksbereich zu bewältigen hatte der Tenor in seinen oft unmittelbar aufeinanderfolgenden Rollen als Erzähler, Stephanus, Barnabas und Ananias. Für Michael Feyfar schien dies kein Problem zu sein, überzeugend verlieh er jeder dieser Persönlichkeiten ihr eigenes Gesicht. Der Bassist Dominik Wörner zeichnete eindrücklich den Wandel des Pauls vom eifernden Christenverfolger Saulus zum geläuterten, demütigen Apostel Paulus nach. Wunderbar war die Klangverschmelzung von Tenor und Bass in den Duetten mit Barnabas und Paulus.
Der Chor hat, wie im griechischen Drama, die Rolle als Kommentator des Geschehens, dazu verkörpert er die Stimme des Volkes. Entsprechend vielfältig sind die Aufgaben, denen der Kammerchor Buchsgau gerecht werden musste bzw. wurde. Mendelssohn hat dieses Werk mit zahlreichen komplizierten, polyphonen Chören (Fugen, Doppelfugen, Fuge mit Choral) versehen, die an die Durchhörbarkeit des Chorklangs hohe Anforderungen stellen. Daneben stehen «einfache», vierstimmige Choräle, in denen Andreas Reize und der Chor die Beherrschung der schwierigen Kunst des schlichten und damit umso eindrücklicheren wirkenden Vortrags unter Beweis stellten. Dass der Chor auch intonationsmässig auf der Höhe steht, zeigten die a cappella Stellen, die nichts zu wünschen übrig liessen. Punkto Ausdruck hatte der Chor ebenfalls ein sehr breites Spektrum abzudecken, vom Toben des Mobs («Steinige ihn») bis zur Verkörperung der Stimme Christi durch den vierstimmigen Frauenchor.
Kaum, dass der Schlussakkord verklungen war, brach der lang anhaltende, wohlverdiente Beifall des Publikums los als Dank für dieses so tiefsinnig und lebensvoll dargestellte grosse Werk. Der scheidende Dirigent Andreas Reize hinterlässt seinem Nachfolger einen Chor, von dem man gewiss sein darf, dass er auch in Zukunft mit bemerkenswerten Aufführungen starke Akzente im Musikleben der Region setzen wird.