"Jauchzet, frohlocket! Auf preiset die Tage!"

Die Weihnachtszeit ohne Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium scheint undenkbar geworden. Seit vielen Jahren gelangt das Werk in unseren Breitengraden so häufig zur Aufführung, dass Abnützungserscheinungen zu befürchten wären, wenn nicht die in die Kirchen und Konzertsäle strömenden Zuhörerschaften uns eines Besseren belehren würden.

Martin Edlin, Schaffhauser Nachrichten, 13.12. 2011

So auch am vergangenen Sonntag: Die Kirche St. Johann war praktisch bis auf den letzten Platz gefüllt, als im Rahmen des vierten Abonnementskonzertes des Musik-Collegiums Schaffhausen die ersten drei Teile dieses Oratoriums erklangen. Es war kein Alle-Jahre-wieder vor allem der so ungeheuer populären Choräle, sondern eine sich sehr sorgfältig mit dem Werk auseinandersetzende Interpretation in historischer Aufführungspraxis. Auch das ist zwar nichts Neues: Nikolaus Harnoncourts diesbezügliche Referenzaufnahme stammt aus dem Jahr 1973. Aber der Kirchenmusiker und Dirigent Andreas Reize, eben als Nachfolger von Peter Eidenbenz mit der «höheren Weihe» der Leitung des Zürcher Bachchores versehen, hat mit den Singknaben der St. Ursenkathedrale Solothurn sowie mit dem Cantus Firmus-Consort eine Wiedergabe erarbeitet, die – er bewies es jetzt auch in Schaffhausen – bewegt. Das wohl vor allem, weil es ihm gelingt, die charakteristische Instrumentierung des Werkes so herauszuheben, dass (wie er sagt) «die Szenen vor dem inneren Auge sichtbar werden».

Diese Plastizität wird nicht zuletzt mit dem Einsatz historischer Instrumente und der entsprechenden vibratolosen Spielweise erreicht. Die gewonnene Transparenz (Präzision vorausgesetzt) verhindert romantisierende, den bachschen Duktus verwischende Klänge und ergibt ganz eigene musikalische Farben, etwa durch die aufregende Kombination von alten Holz- und Blechblasinstrumenten wie der (nicht ganz «Kickser»-freie) Naturtrompete. Mit diesen Farben «malte» nun Andreas Reize die in Noten und Worte gesetzte Weihnachtsgeschichte. Solistisch überzeugten der Altus Jan Börner mit seiner fein nuancierten, weichen und doch ausdrucksvollen Stimme, der Bass Christian Immler mit seinem mächtigen Organ, mit dem er dramatische Akzente zu setzen wusste, der Tenor Michael Feyfar, dem es gelang, in den Rezitativen des Evangelisten Spannungsbögen zu setzen, ohne theatralisch zu werden, und die Sopranistin Gunta Smirnova, die zwar einige Rezitative und Arien brauchte, um sich stimmlich zu emanzipieren, dann aber zum Beispiel im Duett mit dem Bass «Herr, dein Mitleid, dein Erbarmen tröstet uns» ein subtiles Glanzlicht setzte. Alle vier fügten sich bestens ins gesamte Klangbild ein mit einer zur Authentizität der Alten Musik gehörenden Schnörkellosigkeit, aber doch da und dort eine barocke Verzierung wagend.

Der Chor sei nicht vergessen. Die Singknaben der Solothurner St. Ursenkathedrale, einer der traditionsreichsten Knabenchöre der Schweiz, mit bei ihrem Schaffhauser Auftritt 25 Buben und 15 jungen Männern, besitzen grosses Verdienst am Gelingen dieser Aufführung des bachschen Weihnachtsoratoriums, auch wenn man den Jöh-Bonus abzieht, der «herzigen» Sängerknaben (die jüngsten zählen gerade einmal sieben Jahre) immer zugutekommt. Sie gingen mit bewundernswert geschulten Stimmen, mit Disziplin, mit musikalischem Differenzierungsvermögen und mit dem von wohltuender Unbekümmertheit gemilderten Respekt vor dem grossen Werk an dieses … und bewiesen mit der Zugabe des alten Weihnachtsliedes «Maria durch ein’ Dornwald ging», dass für sie Weihnachten nicht nur ein Oratorium ist.

zurück zur Presseübersicht