Packender Orginalklang

Mit Glucks „Orphée et Euridice“ präsentieren die „Barockopern auf Schloss Waldegg“ ihre neue Produktion und behaupten sich damit als zweite Freilichtoper der Ambassadorenstadt neben dem „Classic Openair“.

"Südostschweiz", Stephan Thomas

Dass Freilichtveranstaltungen den Wechselfällen der Witterung schutzlos ausgesetzt sind, ist eine Binsenwahrheit. Der Regen, in diesem Jahr besonders üppig, macht oft auch vor der idyllischsten Schlossoper nicht Halt. Während am Freitagabend in Haldenstein immerhin gespielt wurde (es war die Derniere einer sehr erfolgreichen Produktion) ging man bei einer ganz ähnlich gelagerten Schlossoper kein Risiko ein: Die „Barockopern auf Schloss Waldegg“ verlegten die Premiere von Glucks „Orphée et Euridice“ in den Solothurner Konzertsaal. Regen und Kälte kamen dann doch nicht, aber im Nachhinein ist man immer schlauer. Zum Glück ist man auf diese Eventualität gut eingerichtet. Die Jurasüdfussstädte wie Solothurn, Olten oder Aarau verfügen, obwohl allesamt nur etwa halb so gross wie Chur, über eigentliche Konzertsäle, und jener in Solothurn ist mit seiner gotisierenden Fin de Siècle-Architektur gar ein kleines Bijou. Dies ist immerhin ein gewisser Trost für das entgangene Ambiente des zauberhaften Gartens von Schloss Waldegg. Anita Panzer, die aus Chur stammende Produktionsleiterin, hatte denn auch keine Mühe, dem Publikum den schwierigen Entscheid plausibel zu machen.

Solothurn ist in der konfortablen Lage, im Sommer gleich zwei Freilichtopern anbieten zu können. Zum einen gibt es das etablierte „Classic Openair“, das seit Jahren den Schwerpunkt auf die grosse Opernliteratur des 19. Jahrhunderts setzt. Diese Veranstaltung, normalerweise auf der historischen Bastion angesiedelt, hat mit der alten Reithalle ebenfalls eine valable Schlechtwetteroption. Das Classic Openair zieht pro Veranstaltung gut und gerne tausend Hörerinnen und Hörer an. Um so mutiger war deshalb die Initiative des Barockmusikspezialisten Andreas Reize, eine „schlankere“ Freilichtoper ins Leben zu rufen: Kleinere Besetzungen mit dem in der Region verwurzelten Originalklangensemble „Cantus firmus Vokalensemble und Consort“, junge Stimmen, Repertoire aus dem 18. Jahrhundert. Bei der ersten Austragung waren es zwei Opernminiaturen, Rousseaus „Devin du Village“ und Antoine Dauvergnes „Troqueurs“, bei zweiten Mal nun eben Glucks „Orphée et Euridice“.

Besonders verpflichtet fühlt man sich der Geschichte des Schloss Waldegg, einst für die Familie Besenval erbaut. Sinnigerweise steht deshalb innerhalb der Musik des 18. Jahrhunderts jene französischer Provenienz im Vordergrund. Entsprechend hat man sich beim Orpheus für die französische Fassung entschieden, die Gluck für Paris angefertigt hat, dies etwa im Gegensatz zu der Churer Produktion vom letzten Jahr. Wurde in Chur die Orpheus-Rolle von der Altistin Ulrike Andersen gesungen (zu Glucks Zeit wirkte hier ein Kastrat), verlangt die Pariser Fassung einen Tenor. Seine extrem hohe Tessitura mit zahlreichen hohen Bs ist wahrlich nicht in der Reichweite jeden Tenors; in Solothurn zeigte sich Michael Feyfar dem hohen Anspruch gewachsen. Ihre wichtigen, aber nicht ganz im selben Masse dankbaren Rollen versahen auch Alessandra Boër (Euridice) und Marysol Schalit (Amour) mit stimmlichem Ebenmass und Stilsicherheit.

Regie, Choreographie und Kostüme unterschieden sich deutlich von der Churer Aufführung. Hatten hier starke Bilder und viele Assoziationsmöglichkeiten den Abend geprägt, inszenierten in Solothurn Georg Rootering und Mechthild Scheinpflug mit nobler Zurückhaltung. Am eindrücklichsten war die Szene, wo die Unterweltgeister Orpheus mit Spiegeln den Weg in den Orkus verwehrten. Hier wurde klar, dass nicht nur die Handlung des mythologischen Stücks, sondern ebenso das innere Seelendrama des Orpheus gewürdigt werden muss. Generell zu bedenken ist auch, dass einer Inszenierung, die a priori mit zwei völlig verschiedenen Spielsorten rechnen muss, nicht alle Optionen offenstehen, die bei einer „normalen“ Aufführung gegeben sind – womit nicht gesagt sein soll, das Szenische hätte in irgendeiner Weise defizitär gewirkt. Das „Cantus fimus Vokalensemble und Consort“ unter Andreas Reize bewies mit packendem Spiel und Gesang, dass bei Musik wie dieser kaum mehr ein Weg an der Suche nach dem Originalklang vorbeiführt.

zurück zur Presseübersicht