Beeindruckendes Tongemälde in der Kirche

Oberbuchsiten: Kammerchor Buchsgau führte Haydns «Vier Jahreszeiten» auf

Hans-Rudolf Binz, Oltner Tagblatt / MLZ; 15.05.2007

Zum Kammerchor Buchsgau trat das von dessen Dirigenten Andreas Reize gegründete und geleitete Cantus Firmus Consort als Orchester, die Einzelpersonen wurden verkörpert von Marni Schwonberg (Sopran) in der Rolle der Hanne, einer Bauerntochter, durch Dominik Wörner (Bassbariton) als Simon, Pächter und Hannes Vater, sowie durch den Tenor Michael Feyfar als junger Bauer Lukas.

Beeindruckendes Tongemälde

Das Oratorium «Die vier Jahreszeiten» komponierte Haydn im Frühjahr 1801. Der von Baron Gottfried van Swieten zusammengestellte Text basiert auf dem englischen Lehrgedicht «The Seasons» von James Thomson. Bei der Textübertragung schreckte van Swieten vor recht derben Szenen (Jagdlied, Trinklied) und einzelnen erotischen Anspielungen (Spinnerlied) nicht zurück, was Haydn zu überaus charakteristischer, oft fast realistisch malender Musik inspirierte. Auch die Naturerscheinungen müssen den Komponisten mächtig angeregt haben und wurden in eindrucksvolle Musikumgesetzt.

Die bisweilen fast drastischen Schilderungen verlangen eine entsprechende Wiedergabe.Lässt man sich, wie Andreas Reize und seine Leute das getan haben, darauf ein und nimmt die Angaben der Partitur wörtlich, so entsteht ein packendes Werk, welches das Publikum vom Anfang bis zum Schluss in seinen Bann zieht, sodass man erst am Schluss beim Blick auf die Uhr merkte, dass das Konzert fast drei Stunden gedauert hatte.

Unvergessliches Erlebnis

Um eine Partitur so umsetzen zu können, ist eine genaue Kenntnis auch all dessen erforderlich, was zur Zeit Haydns für Sänger und Musiker selbstverständlich war und deshalb nicht in den Noten steht: Tonbildung, Artikulation, Takt- und Rhythmusverständnis, Intonation. Für die Mitglieder des Cantus Firmus Consort gehört dies «zum täglichen Brot» und die in zahlreichen früheren Aufführungen gewonnenen Erfahrungen taten ein Weiteres, die «Jahreszeiten» in Oberbuchsiten zu einem

unvergesslichen Erlebnis werden zu lassen: die aufkeimende Natur im Frühling, das gewaltige Schmettern der Jagdhörner, die klirrende Kälte und der ermattende Wanderer im Winter, das ausgelassene Treiben des Landvolkes im Herbst, die dramatischen Jagdszenen, wo der den Vogel treffende Schuss fast körperlich fühlbar wurde.

Ein weiterer Höhepunkt bildete das Sommergewitter. Hier hätte man sich zwar vielleicht das erste Donnergrollen noch etwas mehr aus der Ferne, das heisst mehr im Pianissimo, vorstellen können, doch das anschliessende Blitzen und Krachen und die geöffneten Schleusen des Himmels könnten wohl kaum wirkungsvoller dargestellt werden. Dazu schildert der Chor die Angst der Menschen vor dem Toben der Elemente und steigert so die Wirkung des Stückes um eine weitere Ebene.

Vielseitig und ausdrucksstark

Hier und in den anderen Chornummern konnte der Kammerchor Buchsgau seine vielseitigen Ausdrucksmöglichkeiten unter Beweis stellen, in mehreren prächtigen Chorfugen seine Plastik, Transparenz und Gestaltungskraft. Die makellose Intonation des Chores ist vielleicht auch eine Frucht des an der Reinheit vibratoloser Akkorde geschulten Ohres. Durch die im Vergleich mit herkömmlichen Aufführungen eher etwas breiter genommenen Tempi wurde der Chor auch in den schwierigsten Koloraturen nie zu nahe an seine Grenzen geführt. Durch das im Grossen, wie im Kleinen äusserst differenzierte Spielen und Singen und das temperamentvolle Musizieren stimmte immer mit der Dramatik der Musik überein.

Das Verhältnis Chor-Orchester war sehr schön ausgewogen, nie überdeckte ein Klangkörper den andern. Gerade in einem verhältnismässig kleinen Raum wie der Oberbuchsiter Kirche erweist sich auch in dieser Hinsicht die Verwendung von Instrumenten in der Bauart des 18. Jahrhunderts als ein wahrer Segen, da diese auch im stärksten Fortissimo nie so laut sind, wie die auf die Wirkung in grossen Sälen berechneten, heutigen Instrumente.

Mit Einfühlungsvermögen

Was bei Konzerten in historischer Aufführungspraxis manchmal etwas problematisch ist, sind die Gesangsolisten, die sich den Intentionen des Dirigenten nur bedingt unterziehen. Andreas Reize hat sich jedoch im Laufe der Jahre ein Ensemble von Solosängerinnen und -sängern herangezogen, das als ideale Besetzung für derartige Werke gelten kann: Neben der Schönheit der Stimmen, der wie selbstverständlichen Beherrschung der Technik, der gestaltenden Ausdruckskraft beeindruckten besonders die Homogenität und Reinheit des Ensembles, die Verschmelzung der Stimmen unter sich und mit dem Chor, was einerseits der Anwendung historischer Gesangstechnik mit wenig Vibrato, andererseits aber auch einem besonderen Einfühlungsvermögen aller Beteiligten zu verdanken ist.

Obwohl diese Art des Musizierens dem einen oder der andern noch ungewohnt erscheinen könnte, war das Publikum von der Aufführung begeistert, und zeigte dies mit lang anhaltendem, wohl verdientem Beifall. Alle direkt und indirekt Mitwirkenden verdienen den wärmsten Dank für die immense Arbeit und grossen Kosten, die hinter diesem grossartigen Musikerlebnis stehen.

zurück zur Presseübersicht