Innere Dramatik spüren lassen

Überzeugende Aufführung eines Passionsdramas in der Kirche Oberbuchsiten. Eines der grössten Musikwerke des Abendlandes erklang in der Kirche Oberbuchsiten, dargeboten vom und dem cantus firmus consort: die Matthäuspassion BWV 244 von Johann Sebastian Bach.

Hans-Rudolf Binz , © Solothurner Zeitung / MLZ; 31.03.2009

In der Matthäuspassion wird die Leidensgeschichte Jesu Christi nach dem Bericht des Evangelisten Matthäus von den Vorbereitungen des Abendmahls bis zur Grablegung in der Form eines barocken Musikdramas erzählt. Käme noch die Szenerie einer Bühne dazu, so wäre es eine richtige Oper. Dieser Schritt wäre nicht nur für die kirchlichen Autoritäten, sondern wohl auch für den in der lutherischen Theologie verwurzelten Komponisten undenkbar gewesen. In der Anwendung der Mittel der (Barock-)Oper legte er sich keine Zurückhaltung auf: Er schuf ein Drama, dessen Szenerie vor dem geistigen Auge der Zuhörenden ablaufen sollte, der schlicht vorgetragene Bericht des Evangelisten ersetzt die Handlung auf der Bühne.

Nicht mit äusserlichen Mitteln

Die Aufführung unter der Leitung von Andreas Reize stand ganz im Dienste der Darstellung dieser Dramatik. Allerdings nicht mit den äusserlichen Mitteln gewaltiger Lautstärken, sondern mit einer weit gehenden Annäherung an das originale Klangbild, welche die bereits angelegte, innere Dramatik erlebbar machte. Dabei ging es nicht um blindes Historisieren, was Abweichungen zeigten. Die durchgängige Besetzung der hohen Stimmlagen mit Frauen und der Einsatz berufsmässiger Solisten wäre zur Zeit Bachs (1685-1750) in der Kirche undenkbar gewesen und rückte die Aufführung noch etwas mehr in die Nähe zur Oper.

Auch ist der wahrscheinlich etwa drei- oder viermal grösser als der Thomanerchor zur Zeit Bachs. Dass dies kein Nachteil ist, zeigte die präzise, durchsichtige und dynamische Musizierweise des Chors, seine Intonationssicherheit und Klangschönheit, wenn sich auch das zahlenmässige Überwiegen der beiden oberen Stimmen nicht ganz verbergen liess. Insgesamt war der Klang sehr ausgewogen, auch im Verhältnis zum Orchester, das dank historischer Instrumente zwar kräftig, aber nicht dominierend wirkte.

Die dialogische Struktur der für zwei Chöre und zwei Orchester konzipierten Matthäuspassion verlangt von den Chören kurze Einwürfe und Zwischenrufe nach oft langen Pausen, was enorme Anforderungen stellt, wenn sie präzis getroffen werden sollen: dem Chor gelang dies wie selbstverständlich.

Gut gewählte Solostimmen

Mit der Wahl der Solistinnen und Solisten Marni Schwonberg, Sopran, Barbara Erni, Alt, Michael Feyfar, Tenor, Dominik Wörner und Thomas Moser, Bass, hatte der Dirigent eine ausgesprochen glückliche Hand. Alle begeisterten durch den Wohlklang ihrer Stimmen und sangen sie in einer Art, die die Schönheit des Werks schnörkellos zur Geltung brachte.

Vielleicht am eindrücklichsten zeigten sich diese Qualitäten in dem Duett mit Chor «So ist mein Jesu nun gefangen», wo die etwas hellere Stimme der Sopranistin mit der etwas dunkleren der Altistin zu einem ergreifenden Klagegesang verschmolzen. Am meisten zu singen hatte der Tenor, der den ganzen Evangelienbericht rezitieren muss, daneben aber auch noch in einigen Arien das Geschehen gleichsam kommentiert. Gerade im Verzicht auf übertriebene Theatralik verlieh er seinen Worten eindringliche Wirkung. Die Worte Jesu wurden von Thomas Moser beeindruckend vorgetragen, während Dominik Wörner bald als Judas, bald als Petrus, bald als Hohepriester einem ausserordentlich breiten Ausdrucksspektrum gerecht wurde.

Die polyfone Struktur von Bachs Musik und die Anlage des Werks stellen fast für jedes Instrument mehr oder weniger solistische Aufgaben. Hier einzelne hervorzuheben, wäre ungerecht, musizierten sie doch alle auf höchstem Niveau. Mit dieser Aufführung hat der Buchsgau einen neuen Höhepunkt in seiner langen Reihe hochkarätiger Aufführungen bekannter und weniger bekannter Chorwerke gesetzt.

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