Und der Tempelvorhang zerriss

Mit dem «cantus firmus vokalensemble und consort» stehen Andreas Reize Interpreten mit höchstem Qualitätsanspruch zur Verfügung. Nach der tadellosen Aufführung des Passionswerks waren alle glücklich und tief berührt: Publikum, Dirigent, Solisten und Orchester.

Solothurner Zeitung / MLZ; 18.03.2008

Unter dem stehend gespendeten Applaus in der Franziskanerkirche umarmte Dirigent Andreas Reize die acht Mitglieder seines Vokalensembles dankbar. Auch seine konzentriert beteiligten Instrumentalisten bezog er mit sympathischer Geste in den Dank mit ein. Zu Beginn der Karwoche hatten Chor und Orchester die erschütternde Passionsgeschichte BWV 245 musikalisch lebendig werden lassen. Die wichtigste Rolle fiel dabei Tenor Michael Feyfar zu, der als Evangelist den dramatischen biblischen Bericht über Jesu Gefangennahme, Leiden und Sterben stimmlich vollendet und beseelt wiedergab. Das von Reize gegründete Vokalensemble cantus firmus besteht aus ausgebildeten Kräften in allen Stimmlagen, die sowohl solistisch die einzelnen Rollen der Passions-Komposition als auch als Chor die eingebetteten, glaubensinnigen Bachschen Choräle mitsamt Gefühlslandschaft des Volkes in den Turbae-Chören ausformten. Zu Herzen gingen die immer wieder aufleuchtenden Einzelstimmen wie Sopran und Bass. Bei den Volkschören gelang Reize ein besonderes Kunststück: Er bändigte Leidenschaft und Erregtheit, die zügellos überborden könnten, mit straffer Rhythmisierung, um die Aussage noch plastischer und eindringlicher zu machen. Etwa als das Volk bezüglich der Begnadigung Jesu fordert: «Nicht diesen, sondern Barnabam». Oder bei den aufwühlenden «Kreuzige»-Rufen der Menge wie auch dem «Wir haben ein Gesetz ...». Je nach Inhalt zart und gefühlsbetont oder temperamentvoll-engagiert gefielen die Arien und Rezitative, gesungen von Marni Schwonberg, Regula Konrad (Sopran), Jan Börner, Alexandra Rawohl (Alt), Eduardo Koch-Butelli, Michael Feyfar (Tenor), Michael Raschle und Thomas Moser (Bass). Eine kleine Sorge bestand anfänglich bezüglich der Lautstärke des auf historischen Instrumenten spielenden 17-köpfigen Orchesters. Kraftvoll fiel die einleitende Musik aus, die als farbig angelegtes Tongemälde einerseits die bedrückende Stimmung zeichnet, andererseits die Bedeutung des Geschehens für die Christenheit verherrlicht. Die Worte des nachfolgenden Eröffnungschors waren indes nicht zu verstehen, zumal die Vokalisten hinter dem Orchester positioniert waren. Schnell fand aber das Ensemble, dessen Bläser und Streicher auch Einzelaufgaben in der Begleitung der Solisten übernahmen, zu besser ausbalancierter Tonstärke.

Bilderreiche Verse

An dieser Aufführung war wieder mitzuerleben, wie Johann Sebastian Bach mit seiner symbolisierenden Musiksprache das Textverständnis unterstützt. Die Verse der Arien sind entsprechend Luthers Übersetzung bilderreich. Doch Bach gelingt es zusätzlich, mit Wahl und Motiven der Instrumentalstimmen diesen Eindruck vielfältig und dynamisch variabel zu intensivieren. Für seine Zeit geradezu revolutionär, lässt er beispielsweise - musikalisch unvergesslich mit einem chromatisch angelegten Lauf - den Vorhang im Tempel zerreissen, als Jesus stirbt. Das Gesamtwerk lässt die Menschen indes nicht ratlos und in Trauer zurück. Andreas Reize gestaltete den Schlusschor «Ach, Herr, lass dein lieb Engelein» fein zurückhaltend und mit geradezu heiterer Hoffnung aus

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